Historisches



Die Geschichte der Handglocken kann bis in das Jahr 1600 v. Chr. nach China zurückverfolgt werden. Der Buddhismus trug später zur weiteren Verbreitung der Handglocken bis nach Kleinasien bei und die Kreuzzüge brachten die Handglocken schließlich auf den europäischen Kontinent. Im musikalischen Kontext tauchten Handglocken erstmals in Manuskripten aus dem 13. Jahrhundert auf. Wahrscheinlich wurden sie im Mittelalter und zur Zeit der frühen Renaissance wegen ihres brillanten Klanges bei feierlichen Prozessionen eingesetzt.

 

Im 17. Jahrhundert entdeckten die englischen Wechselläuter die Handglocke als Übungshilfe für sich. Beim Wechselläuten (Change Ringing) werden auf den großen Turmglocken verschiedene Tonfolgen (Changes oder Peals) geläutet. Aus der Läutestube unter dem Glockenstuhl werden die Glocken dabei mit Seilen bedient, die über ein hölzernes Rad laufen, welches mit der Aufhängung der Glocken verbunden ist. Das Ziehen der Seile muss von den Spielern zeitlich genau abgestimmt werden, um gleichmäßige Tonfolgen läuten zu können. Die unterschiedlichen Tonfolgen werden z.B. durch das mathematische Prinzip der Permutation entwickelt. Das Üben des Wechselläutens gestaltete sich als schwierig, da einerseits die Anwohner durch das Läuten gestört wurden und andererseits die Wechselläuter in der kalten Jahreszeit in den Kirchtürmen froren.

 

Im Laufe der Jahre wurden die Handglocken technisch weiterentwickelt. Zur Verbesserung des Anschlages und des Klanges, wurden Griffe aus Holz, später aus Leder an den Glocken angebracht und ein Federmechanismus am Klöppel verhinderte das mehrmalige Anschlagen und das Abdämpfen des Klanges durch den Klöppel. Das musikalische Potenzial der modernisierten Handglocken erkannten die Wechselläuter sehr schnell und sie verlangten nach vollständigen, chromatischen Handglockensätzen. Ende des 17. Jahrhunderts führte unter anderem die „Whitechapel Bell Foundry“, welche noch heute Handglocken herstellt, solche Handglockensätze ein. Damit waren die Spieler in der Lage nicht nur das Wechselläuten zu üben, sondern auch bekannte Melodien mit den Handglocken zu spielen. Mitte des 18.Jahrhunderts, als viele Dörfer besonders im Norden Englands einen Handglockenchor besaßen, erlebte das Handglockenspiel dort seinen Höhepunkt. Gespielt wurde mit bis zu 200 Glocken, und das Repertoire bestand aus Operettenmelodien, Chorwerken und populärer Musik jener Zeit. Jährlich fanden Wettbewerbe statt, bei denen sich die Handglockenchöre untereinander messen konnten. Nach dem ersten Weltkrieg geriet das Handglockenspiel jedoch zunehmend in Vergessenheit. Der letzte nationale Wettbewerb fand 1925 in Manchester statt.

 

Eine ganz andere Entwicklung nahm das Handglockenspiel in Amerika. 1840 hörte der amerikanische Geschäftsmann und Zirkusdirektor P.T. Barnum die „Lancashire Ringers“, einen der besten englischen Handglockenchöre jener Zeit, und er lud sie ein, im Osten der USA aufzutreten. Um ihnen ein exotisches Flair zu verleihen, nannte er sie „Swiss Bell Ringers“ und kleidete sie mit entsprechenden Kostümen. In der Varieté- und Zirkusszene des amerikanischen Nordostens wurden sie schnell zu einer Attraktion. 1895 gründete Arthur Nichols in Boston den ersten amerikanischen Handglockenchor. Seine Tochter Margaret Shurcliff machte die Handglockenmusik in Neu England zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch populärer. Ein Dutzend neuer Chöre wurden durch ihre Initiative gegründet. Besondere Beliebtheit erlangten die Weihnachtsaufführungen der von ihr geleiteten „Beacon Hill Ringers“. 1937 gründete Margaret Shurliff auch die erste Handglockenorganisation. Seit 1940 waren Handglocken zunehmend auch in Gottesdiensten zu hören, so dass die Popularität und Verbreitung der Musik deshalb ständig wuchs. 1954 gründete sich die „American Guild of English Handbell Ringers“ (AGEHR). Diese Vereinigung ist heute weltweit die größte ihrer Art und hat ca. 10000 Mitglieder. Sie organisiert Wettbewerbe, Symposien, Festivals, Fortbildungen und verlegt Kompositionen für Handglocken. Seit 1984 wird darüber hinaus alle zwei Jahre ein internationales Handglockensymposium veranstaltet.

 

Bis in die 1960er Jahre importierten amerikanische Chöre meist Handglocken der englischen Firma „Whitechapel“. 1962 begann die Firma „Schulmerich Carillons, Inc.“ in Sellersville, Pennsylvania mit der Fertigung von Handglocken. Seit 1974 stellt auch die Firma „Malmark, Inc.“, ebenfalls in Pennsylvania, Handglocken her. Die Instrumente dieser beiden Firmen unterscheiden sich vor allem durch die unterschiedliche Klöppelaufhängung und die Obertonzusammensetzung der Glockentöne von denen der Firma „Whitechapel“. Ihr Anschlag und Klang sind dadurch weicher. Die meisten Handglockenchöre spielen heutzutage Instrumente der beiden amerikanischen Firmen, welche Handglockensätze mit einem Tonumfang von sieben Oktaven bauen. 1982 wurden sogenannte Handchimes entwickelt. Diese Instrumente basieren auf dem Prinzip der Stimmgabel mit einem außen angebrachten Klöppel. Ihre Spielweise gleicht der der Handglocken. Der Klang ist jedoch voller und eignet sich gut, die Melodie eines Stückes hervorzuheben.

 

Immer ausgefallenere Spieltechniken wurden im Laufe der Jahre entwickelt, um den Klang und die Ausdrucksmöglichkeiten von Handglocken zu verbessern. Die AGEHR hat daher in Zusammenarbeit mit Komponisten, Arrangeuren und Verlegern Standards für die Notation von Handglockenmusik festgelegt. Mittlerweile finden Handglocken auch als Instrumente im Bereich der Musikpädagogik und Musiktherapie Verwendung. An vielen Universitäten und Colleges werden heute Studenten im Handglockenspiel ausgebildet, und mehrere professionelle Ensembles sind in den USA aktiv. Auch in England ist das Handglockenspiel wieder populär. Außerdem gibt es lebendige Handglockenszenen auch in Kanada, Japan, Korea, Hong Kong oder Australien.

 

In Deutschland sind Handglocken erst durch die amerikanischen Besatzungstruppen bekannt geworden. Die ersten Handglockenchöre gründeten sich 1973 im hessischen Schwalmstadt und 1979 in Aschaffenburg. In den 1980er Jahren entstanden weitere Handglockenchöre, auch durch Unterstützung in Deutschland tätiger amerikanischer Kirchenmusiker. Auch in der ehemaligen DDR wurden in dieser Zeit durch Spenden amerikanischer Kirchengemeinden drei Handglockenchöre ins Leben gerufen. Auf Initiative von Milton C. Rodgers und Nancy Poland fand 1989 das erste deutsche Handglockenfestival in Eschweiler statt, bei dem sich neun westdeutsche Handglockenchöre zum gemeinsamen Musizieren trafen. Nach einem ersten gemeinsamen Treffen aller Glockenchorleiter aus Ost- und Westdeutschland 1990, folgte 1992 das zweite Festival welches von Jürgen Tabel und der Ländlichen Akademie Krummhörn e.V. organisiert wurde. An diesem Festival nahmen 21 Chöre mit über 250 Glöcknern teil, darunter auch Chöre aus der ehemaligen DDR, aus der Schweiz und Paris. Trotz dieser Veranstaltungen und vieler regionaler Aktivitäten der einzelnen Handglockenchöre ist die Handglockenmusik mit ca. 25 Chören in Deutschland noch weitgehend unbekannt.